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Die Bleistiftschnüfflerin

Sie roch gerne an Bleistiften. Bevorzugt an solchen mit Stärke 3B. Gegen härtere Stifte war sie abgehärtet. Nur gelegentlich griff sie zur beliebten Sorte HB, denn bei weicheren kam sie immer in Versuchung, die Spitze anzusetzen, oberhalb der Lippen, dort wo die Nasenlöcher ihren Blick auf die Welt richteten. Und dann hinterblieben graue Mahnmale, die zeigten, was sie getan hatte.

Weiche Bleistifte, 4B und weicher, waren beinahe Kohle. Man rutschte über das Papier wie mit Eislaufschuhen, deren Kufen neu geschliffen waren. Der Untergrund natürlich bestens präpariert. Man glitt wie über nasse Fließen im Badezimmer. Fallen war leicht. Und lag man erst, verschmierte sich das Grau von der Nase über den Mund und mit Seife schrubbte sie dann stundenlang, um zu verbergen, was sie getan hatte, um dem Leben zu entfliehen. Um dorthin zu reisen, wo ihr Vater graue Bilder malte.

Jetzt waren die Striche im Gesicht auch egal. War sie eben grau. Die Welt war es schon lange. Und sehen konnte es jeder.

Die gut gespitzten, wirklich fein punktierten, die hatten sie ihr am ersten Tag abgenommen. Aber weil die gesundheitsschädigende Wirkung von modernen Bleistiften nicht belegt war, durfte sie die stumpfen behalten. Und das waren - zu ihrem Glück – die ganz, ganz weichen. Die, die beinahe Kohlestücke waren.

Sie hatte eine graue Nase. Einen aufgemalten Oberlippenbart. Graue Lippen. Und einen Bleistift der Stärke 7B. Mit dem auch das einst weiße, sterile Zimmer grau geworden war.

Worte fehlten ihr. Stimmen auch. Aber ihr Vater nicht mehr.