Ein Schluck Tee
Ich hatte in meinem Leben nie an Scheidung gedacht. An Mord, ja, aber bestimmt niemals an Scheidung. Der Grund dafür war einfach: Eine Scheidung musste man planen, ein Mord, so dachte ich, passierte nur in der Hitze des Gefechts, im Augenblick größten Streits und der Gedanke daran war vergessen, sobald man sich versöhnlich in die Arme fiel. Wie falsch ich lag! Mein Mann musste den Mord an mir schon lange geplant haben – und heute war es so weit.
Angeblich ist Gift eine Frauenwaffe, aber mein Mann hatte sich dennoch dafür entschieden. Meine ersten Befürchtungen kamen in dem Moment, als er mich zum Abschied küsste, obwohl ich mit triefender Nase und hohem Fieber im Bett lag. Niemals zuvor hatte er mich geküsst, wenn ich krank gewesen war.
Das zweite Beweisstück wartete am Nachtkästchen. Auch wenn ich ihn noch so oft darum gebeten hatte, richtigen Tee zu kochen, benutzte er immer Teebeutel. Aber nicht heute. Heute waren es Teeblätter, die in der Teekanne schwammen und darauf warteten, mich in den Tod zu reißen.
Ich wusste, dass ich zu Hirngespinsten neigte, wenn ich Fieber hatte und Medikamente schlucken musste. Darum wollte ich immer noch nicht überzeugt sein.
Stunden später war mein Fieber gesunken und ich fühlte mich klarer. Nein, mein Mann würde nicht an Mord denken – an Scheidung vielleicht, aber niemals an Mord. Das war mein letzter Gedanke, bevor ich tapfer den Tee trank und mein Herz für immer verstummte.