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Die Bleistiftschnüfflerin

Sie roch gerne an Bleistiften. Bevorzugt an solchen mit Stärke 3B. Gegen härtere Stifte war sie abgehärtet. Nur gelegentlich griff sie zur beliebten Sorte HB, denn bei weicheren kam sie immer in Versuchung, die Spitze anzusetzen, oberhalb der Lippen, dort wo die Nasenlöcher ihren Blick auf die Welt richteten. Und dann hinterblieben graue Mahnmale, die zeigten, was sie getan hatte.

Ein Schluck Tee

Ich hatte in meinem Leben nie an Scheidung gedacht. An Mord, ja, aber bestimmt niemals an Scheidung. Der Grund dafür war einfach: Eine Scheidung musste man planen, ein Mord, so dachte ich, passierte nur in der Hitze des Gefechts, im Augenblick größten Streits und der Gedanke daran war vergessen, sobald man sich versöhnlich in die Arme fiel. Wie falsch ich lag! Mein Mann musste den Mord an mir schon lange geplant haben – und heute war es so weit.

Die letzte Mondfinsternis

Wir liegen im Gras und sehen den Mond. Wir haben keine Kamera dabei, kein Teleskop. Unsere Mobiltelefone liegen im Haus, irgendwo, abgeschaltet. Wir haben keine Musik in den Ohren, keinen Bildschirm vor unseren Augen.

Mit Herzblut

Der Pinsel weint,
weil die Rosenblätter schweigen.
Sie wohnten auf der Leinwand,
bevor ein Farbschwall
sie begrub.

Wunderheilung

„Irgendwie sind wir doch alle ein bisschen verrückt.“ Mit diesen Worten und einem freundlichen Lächeln schloss Dr. Sabine Berg hinter ihrem fünften und letzten Patienten an diesem Tag die Tür. Seit zehn Jahren, auf den Tag gemau, arbeitete sie mit Menschen wie ihm, Menschen, die dachten, sie seien besonders, obwohl sie nicht mehr oder weniger besonders waren als alle anderen Menschen auf der Welt.